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Tagblatt: Mord soll nie verjähren: Hauchdünnes Ja für St. Galler Initiative im Nationalrat – Egger und Reimann setzen sich durch

2. Juni 2021 Medienbeitrag

Ganze Bücher werden über sie geschrieben: Ungeklärte Verbrechen wie der Kristallhöhlenmord im St. Galler Rheintal 1982 beschäftigen die Bevölkerung teils noch Jahrzehnte später – wenn sie für die Justiz längst abgeschlossen sind. Mordfälle gelten in der Schweiz nach 30 Jahren als verjährt.

Eine Tatsache, die den St. Galler SVP-Nationalrat Mike Egger schon lange stört. Im Jahr 2018 – damals war er noch Kantonsrat– lancierte er eine Standesinitiative, welche die Unverjährbarkeit von Mord verlangte. Das St. Galler Kantons-parlament stimmte mit 67 zu 25 Stimmen zu. Inzwischen liegt der Vorstoss in Bern – und ist im Bundesparlament hoch umstritten. Vor einem Jahr hatte der Ständerat die Initiative knapp abgelehnt – mit 20 zu 18 Stimmen. Am Dienstag war nun der Nationalrat an der Reihe. «Es wird schwierig», hatte Egger im Vorfeld gesagt. Er werde versuchen, noch möglichst viele Ratskolleginnen und Ratskollegen zu überzeugen. In der Vorberatung hatte sich die Rechtskommission gegen die Unverjährbarkeit ausgesprochen. Lukas Reimann (SVP/SG) als Kommissionsmitglied hatte einen Antrag gestellt, um das Anliegen doch noch durchzubringen. Doch die Zeichen im Nationalrat standen auf Ablehnung.


Dass Morde verjähren können, beschäftigt ihn seit langem: Mike Egger, St. Galler SVP-Nationalrat

Im Ständerat hatten Parlamentarier ausserhalb der SVP die St. Galler Initiative unterstützt – gerade auch Juristen: So sagte Andrea Caroni (FDP), wenn man Mord mit lebenslanger Haft bestrafen könne, solle man ihn auch lebenslang strafrechtlich verfolgen können. Daniel Jositsch (SP) hielt fest, es sei nicht ausgeschlossen, dass ein Mörder nach Jahrzehnten plötzlich auftauche. Die Gegner – die es ebenfalls in fast allen Fraktionen gab – warnten, die Gefahr von Justizirrtümern nehme stark zu, wenn sich die Ermittlungen jahrzehntelang hinzögen. Auch wenn inzwischen neue Beweisführungsmethoden wie die DNA-Analyse zur Verfügung stünden: Man wecke bei den Angehörigen falsche Hoffnungen, wenn man nun die Unverjährbarkeit für Morde einführe.

Egger sieht das anders. In der Nationalratsdebatte am Dienstag betonte er, es gehe nicht in erster Linie darum, dass man Mörder auch über 30 Jahre hinaus noch bestrafen könne. «Sondern es geht um die Angehörigen: Sie müssen Gewissheit haben.» Ungeklärte Morde würden das betroffene Umfeld ein Leben lang belasten. «Fälle wie der Kristall-höhlenmord lassen die Menschen nicht mehr los.» Zu den unverjährbaren Delikten zählten in der Schweiz ursprünglich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und terroristische Handlungen. 2008 wurden auch sexuelle Straftaten an Kindern als unverjährbar definiert – das Volk hatte einer Initiative zugestimmt, gegen den Willen von Bundesrat und Parlament. Es sei folgerichtig, das gleiche nun auch für Mord zu beschliessen, sagte Egger.

Lukas Reimann schilderte die Situation in Nachbarländern: In Deutschland gelte Mord schon seit 1871 unverjährbar. Und in Italien habe sich unlängst ein spektakulärer Fall ereignet: Ein Mord an einem Millionär sei ungeklärt geblieben. «Die Verjährungsfrist lief ab. Am Tag danach meldete sich die frühere Ehefrau des Millionärs zu Wort und gestand, sie habe ihn getötet.» Dass die Justiz in solchen Fällen nichts mehr unternehmen könne, sei untragbar.

Die Gegenseite hielt an ihren Argumenten fest. Je länger ein Delikt zurückliege, desto schwieriger sei es, ein Straf-verfahren durchzuführen, sagte Florence Brenzikofer (Grüne/BL) im Namen der Kommissionsmehrheit. «Die Verjährung dient auch dazu, den Rechtsfrieden wiederherzustellen.» Und sie zwinge die Strafuntersuchungsbehörden, die Ver-fahren zügig abzuwickeln. Die Abstimmung über die St. Galler Initiative geriet dann zum Krimi: Der Nationalrat ent-schied sich für die Unverjährbarkeit – allerdings äusserst knapp, mit 90 zu 89 Stimmen bei 10 Enthaltungen.

Während die SVP klar dafür und Links-Grün dagegen stimmte, war die FDP gespalten. Die St. Galler Freisinnigen Susanne Vincenz-Stauffacher und Marcel Dobler unterstützten die St. Galler Initiative. Die Mitte stellte sich fast geschlossen hinter den Vorstoss. Bei den Grünliberalen gingen die Meinungen auseinander, der St. Galler Thomas Brunner enthielt sich der Stimme.

Er sei durchgeschwitzt, aber sehr zufrieden, sagt Egger nach der Abstimmung und lacht. «Der jahrelange Einsatz für diesen Vorstoss hat sich gelohnt und es freut mich, dass dieser überparteilich unterstützt wurde. Wir haben heraus-geholt, was möglich war.» Als Nächstes ist der Ständerat wieder am Zug. «Wenn diesmal auch jene Ständeräte mit-stimmen, die beim letzten Mal leider abwesend waren, könnte es reichen», so Egger. Gefehlt hatten Benedikt Würth (Die Mitte/SG) und Martin Schmid (FDP/GR) – beide hatten zuvor Zustimmung für die St. Galler Initiative signalisiert – und Jakob Stark (SVP/TG)