Nebelspalter: Mike Egger: «Wenn der Bundesrat jetzt nicht handelt – wann dann?»
Neuer Vorstoss zur Zuwanderungsschutzklausel
Die Fakten: Nationalrat Mike Egger (SVP/SG) hat heute eine Interpellation eingereicht, die den Bundesrat zur Anwendung der bestehenden Schutzklausel im Freizügigkeitsabkommen mit der EU drängt.
- Egger fordert Antworten: Wann sieht der Bundesrat Handlungsbedarf bei Wohnraum, medizinischer Versorgung, Verkehr und Energie angesichts der anhaltenden Zuwanderung?
Warum das wichtig ist: Die Schweiz verzeichnete 2024 einen Bevölkerungszuwachs von 83’392 Personen durch Nettozuwanderung – mit spürbaren Folgen für die Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen.
In konkreten Zahlen: Eggers Vorstoss quantifiziert den entstandenen Mehrbedarf präzise: 37’905 zusätzliche Wohnungen, 384 Ärzte, 350 Spitalbetten und 2’135 Pflegekräfte – Fakten, die der «Nebelspalter» publik machte.
Der politische Kontext: In den Verhandlungen mit der EU hat der Bundesrat eine angeblich verbesserte Schutzklausel als Durchbruch für die eigenständige Steuerung der Zuwanderung erzielt.
- Doch nach bisherigen Erkenntnissen unterscheidet sich diese inhaltlich kaum von der bereits existierenden, nie aktivierten Klausel – was Egger als «Feigenblatt» bezeichnet.
Die Vorgeschichte: Die SVP scheiterte bereits im Februar in der Aussenpolitischen Kommission mit einem Antrag, der den Bundesrat zur Anwendung der bestehenden Schutzklausel verpflichtet hätte.
- Bereits in einem anderen Vorstoss vom 3. März wollte Egger vom Bundesrat wissen, wie das neue Vertragspaket mit der EU mit dem Verfassungsartikel der Masseneinwanderungsinitiative vereinbar sei.
Der «Nebelspalter» hat mit Mike Egger gesprochen:
Herr Egger, wieso soll der Bundesrat die Schutzklausel anwenden?
Im vergangenen Jahr sind wieder über 80’000 Personen in die Schweiz eingewandert. Dies führt zu vielfältigen Problemen: explodierende Wohnungspreise, erhöhter Bedarf an Spitalbetten, Ärztemangel und so weiter. Diese Themen müssen dringend diskutiert werden, doch der Bundesrat macht einfach nichts.
Der Bundesrat sagt, er habe in den Verhandlungen mit der EU eine neue Schutzklausel erzielt, wie es das Verhandlungsmandat vorsah.
Genau. Der Bundesrat verkündet mit grossem Pathos, im neuen Rahmenvertrag 2.0 hätten wir durch eine neue Zuwanderungsschutzklausel einen Durchbruch erzielt. Tatsächlich beinhaltet diese aber nichts wesentlich Neues gegenüber dem bestehenden Artikel 14 Absatz 2 des Personenfreizügigkeitsabkommens. Die Begriffe «wirtschaftliche» und «soziale Probleme» werden lediglich etwas präzisiert – nach heutigem Kenntnisstand. Es ist letztlich nur ein Feigenblatt. Seien wir ehrlich: Wenn man die bestehenden Möglichkeiten jetzt nicht nutzt, wird man es auch künftig nicht tun. Man versucht lediglich, die Bevölkerung zu beschwichtigen.
Sie beziffern beispielsweise den Wohnungsbedarf aufgrund der Nettozuwanderung für 2024. Fordern Sie vom Bundesrat einen konkreten Schwellenwert?
Nein, wir möchten lediglich aufzeigen, welche Probleme durch die anhaltende Zuwanderung entstehen. Die derzeitige Zuwanderungspolitik ist nicht nachhaltig und treibt den Ressourcenverbrauch massiv in die Höhe – sei es bei Treibhausgasemissionen oder beim Wohnungsbau, der immer mehr Flächen in der Schweiz beansprucht. Darauf wollen wir aufmerksam machen: Diese Politik führt zu erheblichen Problemen und ist nicht zukunftsfähig. Daher sollte der Bundesrat endlich den gemischten Ausschuss einberufen und dort aktiv werden oder andere Massnahmen zu einer Regulierung der Zuwanderung einleiten.
Die Zuwanderung bringt der Schweiz doch auch Vorteile, etwa im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Wie bewerten Sie diese verschiedenen Aspekte?
Wenn die Personenfreizügigkeit den Fachkräftemangel tatsächlich lösen würde, hätten wir heute kein solches Problem mehr. Das Abkommen ist seit 2002 in Kraft – und dennoch besteht der Mangel weiterhin. Das zeigt doch, dass dieser Ansatz das Problem nicht löst. Jede Person, die in die Schweiz kommt, schafft wiederum Bedarf an zusätzlichen Personen, die ihre Bedürfnisse decken müssen. Dadurch entsteht ein Teufelskreis der Zuwanderung, der nie endet und die Schweiz letztlich in einen Stadtstaat wie Singapur verwandeln könnte. Das ist nicht meine Vision für unser Land. Die Schweiz soll für kommende Generationen lebenswert bleiben und ihre natürlichen Ressourcen bewahren können, anstatt immer mehr Naturräume und Landwirtschaftsfläche zu opfern.
Beim Lesen Ihrer beiden Vorstössen entsteht der Eindruck, dass Sie letztlich auf eine Kündigung der Personenfreizügigkeit abzielen, auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsinitiative der SVP.
Nein, die Nachhaltigkeitsinitiative fordert lediglich, dass der Bundesrat ab einer Bevölkerungszahl von 9,5 Millionen Menschen verschiedene Massnahmen im Bereich der Zuwanderung ergreifen muss – sei es im Asylbereich oder anderweitig. Ab zehn Millionen Einwohnern müssen entsprechende Verträge überprüft werden. Diese können durchaus modifiziert werden: Man könnte eine Personenfreizügigkeit mit Höchstgrenzen vereinbaren oder an bestimmten Punkten mit Kontingenten arbeiten. Es gibt Entwicklungsmöglichkeiten, und der Bundesrat hat dabei einen gewissen Spielraum. Entscheidend ist jedoch, dass Massnahmen ergriffen werden, um die Zuwanderung selbst steuern zu können – wie es die Bundesverfassung vorsieht. Ich halte es für skandalös, dass sich der Bundesrat nicht an die Verfassung hält.