NZZ: Läden sollen Kunden nicht mehr mit Fleisch-Aktionen ködern
«2.80 statt 5.65 per 100 g Rindssteak Cayenne» oder «7.95 statt 12.- für 10 Stück Cervelats»: Preisrabatte auf Fleisch sind ein beliebtes Mittel, um Kunden vor dem Wochenende in die Läden zu locken. Doch solche Werbungen könnten verboten werden. Wie der Vizedirektor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) bestätigt, gehen die Überlegungen in diese Richtung: «Rabatte für Fleisch sind oft reine Frequenzbringer», sagt Adrian Aebi. «Das entspricht nicht der Wertigkeit von Fleisch und ist einem nachhaltigen Konsum nicht förderlich.» Er verweist auf Deutschland, wo dieselben Diskussionen laufen: Dort hat Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner angekündigt, Werbung mit Fleischpreisen verbieten zu wollen.
Hierzulande sind die Pläne weniger weit fortgeschritten. Das Werbeverbot für Billigfleisch ist Teil der Überlegungen in Richtung einer nachhaltigen Ernährungspolitik. Den Auftrag hierfür erteilte das Parlament.
«Ein Skandal»
Mit der Begründung, es greife zu kurz, nur der Landwirtschaft Umweltauflagen zu machen, sistierte der Ständerat im Dezember die Beratungen zur Agrarpolitik 22+. «Alle müssen Verantwortung übernehmen und nicht einseitig die Bauern», sagte SVP-Ständerat Werner Salzmann im Rat.
Stattdessen verpflichtete die kleine Kammer den Bundesrat zu einer Gesamtschau. Bis 2022 muss die Regierung Bericht erstatten, wie die Agrarpolitik in eine ganzheitliche Politik für «gesunde Ernährung und nachhaltige Lebensmittelproduktion» erweitert werden kann. Die Vorarbeiten für diesen Bericht laufen beim BLW. Und dort hat man es nun offensichtlich auf den Fleischkonsum abgesehen.
Der Grund ist klar: Fleisch hat eine schlechte Klimabilanz. Denn Tiere fressen Pflanzen, die der Mensch auch direkt essen könnte. Zudem stossen sie, zumindest die Wiederkäuer, Methan aus. Das ist ein Treibhausgas. Gemäss Umweltbericht des Bundesrates von 2018 ist der Fleisch- und Fischkonsum für mehr als 6 Prozent der Umweltbelastung der Schweiz verantwortlich. Schweizerinnen und Schweizer essen im Schnitt 780 Gramm Fleisch pro Woche. Empfohlen gemäss Lebensmittelpyramide wäre weniger als ein Drittel davon.
Vor diesem Hintergrund schrieb denn auch der Bundesrat im Sommer 2020 in seiner Antwort auf einen Vorstoss: «Würde sich die Bevölkerung gemäss den Empfehlungen der Schweizer Lebensmittelpyramide ernähren und maximal 2-3 Mal pro Woche 100-120 Gramm Fleisch konsumieren, so würde damit ein Beitrag sowohl an die Gesundheit als auch an die Ziele der Strategien im Bereich Umwelt und Klima sowie der Agenda 2030 geleistet.»
So weit die Einschätzungen des Bundesrats. Doch wie bringt man die Leute dazu, weniger Fleisch zu essen? Darf die Politik hier überhaupt Einfluss nehmen? Versuche, den Konsum über Werbeverbote zu steuern, sind umstritten. Das zeigt das jahrelange Ringen im Parlament zur Frage, ob Tabak noch beworben werden darf. Ähnlich hitzig läuft nun auch die Debatte beim Fleisch an.
«Dass so etwas nur schon in Erwägung gezogen wird, ist ein Skandal», sagt SVP-Nationalrat und Metzger Mike Egger. Fleisch sei offensichtlich der neue Sündenbock. «Man versucht, ein gesundes Lebensmittel zu verunglimpfen.» Kritisch ist auch die Branchenorganisation Proviande: «Unserer Meinung nach hat hier der Staat nicht einzugreifen. Mündige Konsumenten können selber entscheiden, ob sie solche Angebote kaufen wollen oder nicht», teilt eine Sprecherin mit.
Migros und Coop antworten auf Anfrage ausweichend. Die Migros schreibt, da noch nichts entschieden sei, sehe man von einer Stellungnahme ab. Coop verweist darauf, das grösste Sortiment an pflanzenbasierten Produkten anzubieten. Und weiter: «Mit unseren Aktionen bieten wir attraktive Angebote, die sich an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden orientieren.»
Wie bei Tabak und Alkohol
Erfreut ist hingegen Grünen-Nationalrat Kilian Baumann. Obwohl er selber Rinder mästet, ist er im Parlament der wohl vehementeste Verfechter einer Weniger-Fleisch-Politik. So forderte er letzten Sommer vom Bundesrat einen Absenkpfad für den Fleischkonsum. Entsprechend begrüsst er nun den Ansatz, bei der Werbung anzusetzen: «Man hat beim Tabak und Alkohol gesehen, dass Werbeeinschränkungen wirken.» Ein «erster Schritt in die richtige Richtung» ist der Vorschlag für die Landwirtschaftsverantwortliche des WWF: «Es ist sinnvoll, wenn solche Konsumanreize gestrichen werden», sagt Eva Wyss. «Doch es braucht mehr: Aus Umweltsicht sollte Fleischkonsum gar nicht mehr beworben werden.»
Es ist die klassische Ausgangslage bei einem kontroversen Vorschlag: Den einen geht die Massnahme viel zu weit, den anderen nicht weit genug. Als Nächstes wird der Ansatz nun verwaltungsintern geprüft. Der Weg bis ins Parlament ist also noch weit. Doch eines ist für den Vizedirektor des Bundesamtes für Landwirtschaft schon heute klar: «Es ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft, das Ernährungssystem nachhaltiger zu gestalten», sagt Adrian Aebi. «Konsum und Produktion müssen zusammen betrachtet werden.»
Link: Fleisch-Aktionen: Läden sollen Kunden nicht mehr ködern dürfen (nzz.ch)