SRF: Aufklärung von Mordfällen: «Verjährung ist für die Angehörigen ein Desaster»
Der «Kristallhöhlenmord» der 1980er-Jahren hat die Verjährungsdebatte befeuert und zeigt: Dass ein Täter nach so langer Zeit nicht mehr bestraft werden kann, ist nicht das zentrale Problem – sondern, dass der Fall nicht aufgeklärt werden darf.
Am Donnerstag entscheidet der Ständerat über die Unverjährbarkeit von Mord. Eingebracht hat das Anliegen SVP-Nationalrat Mike Egger aus dem St. Galler Rheintal.
Das ist kein Zufall. «Im Rheintal sind wir von einem verjährten Mordfall betroffen – dem Kristallhöhlenmord – und die Bevölkerung wühlt das heute noch auf», erzählt Egger.
Was viele nicht wissen: Verjährung bedeutet nicht nur, dass ein Täter nicht mehr bestraft werden darf, sondern auch, dass die Behörden nicht mehr ermitteln dürfen – sogar dann, wenn neue Beweise auftauchen.
So wie beim ungelösten Doppelmord an zwei jungen Mädchen 1982 bei der Kristallhöhle in Oberriet SG: Weil die Tat verjährt ist, dürfen die Behörden seit 2012 nicht weiter ermitteln. Das gilt jedoch nicht für Privatpersonen: Mehrere Buchautoren, ein deutscher Profiler und ein engagierter Hobby-Ermittler haben weitergesucht.
Der Rheintaler Hobby-Detektiv Thomas Benz war ein Kind, als die Leichen der jungen Mädchen bei der Kristallhöhle gefunden wurden. «Meine Grosseltern wohnten in der Nähe, und ich war als Kind oft in der Kristallhöhle. Dass dort ein Verbrechen geschah, war für mich erschreckend», erzählt der heute 50-Jährige. Der Mord liess ihn nie mehr los.
Sie wissen, wer der Mörder sein könnte
Durch jahrelange Recherchen ist er auf neue Indizien und Zeugenaussagen gestossen. «Es ist schlimm, zu wissen, dass der Mord verjährt ist und alles Material nichts mehr nützt», sagt Benz. Gegenüber den Medien darf er nicht sagen, auf wen die von ihm gesammelten Indizien hinweisen – ohne Gerichtsurteil könnte das eine Falschanschuldigung sein.
Auch der deutsche Profiler Axel Petermann hat sich den Fall angesehen und ist zu einem konkreten Schluss gekommen, aber: «Dieses Delikt ist verjährt, demzufolge darf kein Verdächtiger namentlich benannt werden.» Wäre das Verbrechen mit heutigen Methoden untersucht worden, hätte es laut dem Kriminalisten Chancen gegeben, die Täterschaft zu identifizieren.
Für die Angehörigen «ein Desaster»
Dass verjährte Verbrechen nicht mehr untersucht werden, ist laut Petermann für die Angehörigen «ein Desaster». «Ich kenne viele Menschen, die Angehörige durch ein Verbrechen verloren haben, und ich weiss, dass sie wissen möchten, was genau geschehen ist, wer verantwortlich ist und warum ausgerechnet ihre Tochter, Sohn oder Frau das Opfer sein musste.»
Petermann hat einen Mordfall aus den 1970er-Jahren in Deutschland gelöst, wo Mord nie verjährt. «Der Täter lebte nach fast 40 Jahren nicht mehr, aber für die Angehörigen war es eine grosse Erleichterung zu wissen, wer von den drei damals Verdächtigen die Tat zu verantworten hatte.»
Zu Unrecht Verdächtigte können nie entlastet werden
Beim «Kristallhöhlenmord» standen ebenfalls verschiedene Männer unter Verdacht, einer kam sogar in Untersuchungshaft.
Sowohl Benz als auch Petermann geben zu bedenken, dass Verjährung auch zur Folge hat, dass Unschuldige nicht mehr entlastet werden können. «Der Druck, dem Verdächtige ausgesetzt sind, ist immens», sagt Petermann. «Die Zweifel der Ehepartnerin, der Kinder, der Freunde: War er es vielleicht doch?» Es wäre laut Petermann Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass unschuldig Verdächtigte rehabilitiert werden.